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Mäusekot und Kakerlaken – doch die eigentliche
Gefahr ist unsichtbar
Amtliche Lebensmittelüberwachung im Zerrbild der
öffentlichen Wahrnehmung
Hinweis: Auch wenn im folgenden Artikel Bezug auf einen
bestimmten Jahresbericht genommen wird, so sind sowohl die dargelegte Situation
als auch die gezogenen Schlussfolgerungen nach wie vor in wesentlichen Zügen
bis heute gültig!
Selten erhält die Öffentlichkeit Einblick in die
Arbeit der amtlichen Lebensmittelüberwachung. Zu sensibel und juristisch
zu heikel – weil folgenschwer – ist der Umgang mit den dort
gewonnenen Daten und Erkenntnissen. Namen von Verursachern und Schuldigen
werden so gut wie nie genannt. Das gibt die zur Zeit geltende Rechtsordnung
nicht her. Und das bereits seit Jahren gehende Gerangel um das
Verbraucherinformationsgesetz zeigt nur allzu deutlich, dass man in
Wirtschaftskreisen hieran auch nichts geändert sehen möchte.
Aktuelle Informationen, solche von Brisanz, werden nur in begründeten
Einzelfällen – eben bei Gefahr im Verzug – an die
Öffentlichkeit herausgegeben. Somit ist die alljährlich stattfindende
Veröffentlichung der Jahresberichte der Chemischen und
Veterinäruntersuchungsämter (CVUA) ein seltener, aber umso
willkommenerer Anlass, sich einmal über die Ergebnisse der amtlich
durchgeführten Untersuchungen ein genaueres Bild zu verschaffen.
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Die Anfang August (2007) vom Ministerium für Ernährung
und Ländlichen Raum Baden-Württemberg präsentierten
CVUA-Jahresbilanzen geben dem Interessierten umfassend Antwort auf die Frage,
wie gut – oder schlecht – unsere Lebensmittel denn nun
tatsächlich sind bzw. es im Berichtsjahr 2006 waren. Die wohl
beruhigendste Erkenntnis vorweg: im Schnitt waren nur knappe 3 von tausend
untersuchten Proben geeignet, die Gesundheit zu schädigen – und
das bei etwa 50.000 untersuchten Proben insgesamt. Dabei betrifft die
Beurteilung gesundheitsschädigend Jahr für Jahr
eigentlich immer nur Produkte, die entweder krankheitserregende Keime enthalten
oder solche mit scharfkantigen Fremdkörpern. Im Jahr 2006 fielen hier aber
auch einige Produkte – Fischprodukte – mit überhöhten
Gehalten an Histamin auf, einem für den Menschen giftigen
Eiweißabbauprodukt und Verderbnisindikator. Die Hürden für eine
Beurteilung als gesundheitsgefährdend sind allerdings recht hoch, wohl
nicht zuletzt wegen der massiven Konsequenzen für den Hersteller bzw.
Anbieter der Waren. Andererseits aber gab im Jahr 2006 immerhin jede fünfte
der untersuchten Proben Anlass zu einer Beanstandung überhaupt, wenn auch
nur minderer Schwere. Die häufigsten Gründe hierfür waren –
und sind es beinahe schon traditionsgemäß – Schlampereien bei
den hygienischen Zuständen (Schmutz, Ungeziefer, bauliche Mängel),
mikrobieller Verderb von Waren (unzureichende Kühlung, zu lange
Lagerdauer), von der Norm abweichende Zusammensetzung oder Beschaffenheit
der Ware sowie schließlich Fehler bzw. Unzulänglichkeiten in der
Kennzeichnung, Kenntlichmachung und Aufmachung der Produkte.
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Vordergründig könnte somit schnell die Vermutung
aufkommen, die Lebensmittel-Detektive der amtlichen Überwachung
verbrächten ihren Arbeitsalltag überwiegend mit dem Aufspüren
allen möglichen unerwünschten Kleingetiers, dem Überprüfen,
ob Geräte und Arbeitsflächen ordentlich geputzt seien, dem optischen
und geruchlichen Begutachten von Lebensmitteln sowie dem Kontrollieren von
Etiketten, ob die Waren auch mit allen vorgeschriebenen Angaben versehen sind.
Auch Pressekonferenzen, Stellungnahmen von politisch Verantwortlichen und viele
Medienberichte vermitteln leider ständig genau diesen Eindruck. Und es
kommt so allzu leicht die kritische Frage auf, ob es denn dazu unbedingt
millionenschwerer Untersuchungsämter braucht, ausgestattet
mit Hightech-Labors, hochgerüstet mit modernster und teurer
Apparatetechnik, und besetzt mit Hunderten hochqualifizierter Mitarbeiter,
in Baden-Württemberg ein Viertel von ihnen gar wissenschaftliche
Sachverständige wie Lebensmittelchemiker, Chemiker, Tierärzte,
Mikrobiologen und Biologen ?! – Die Antwort auf diese Frage kann
man gerade in den Jahresberichten der Untersuchungsämter finden; aber
erst nach intensiverer Lektüre der Berichte, und erst weiter hinten im
Text, da wo es in die Tiefen des Laboralltags geht – und wo es für
den Leser richtig anstrengend wird ...
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Beispiel Problemfeld Rückstandsbelastung von Obst und
Gemüse mit Pestiziden :
Die Jahresberichte zeigen in erschreckender Deutlichkeit, dass Obst und
Gemüse – und zwar aus konventionellem Anbau – mittlerweile
fast durchweg und teilweise erheblich mit Rückständen von
Pflanzenschutzmitteln belastet sind. Auch wenn die rechtlich festgelegten
Höchstmengen nur in wenigen Fällen überschritten wurden,
fällt doch negativ auf, dass offensichtlich als Ausgleich
dazu die Pestizid-Rückstände in immer vielfältigerer
Zusammensetzung anzutreffen sind. Gegenüber dem nahezu
flächendeckenden Einsatz von Pestiziden in der konventionellen
Landwirtschaft zeigen die Untersuchungen aber auch sehr eindrücklich,
dass Obst und Gemüse aus ökologischem Anbau so gut wie nicht mit
Rückständen von Pflanzenschutzmitteln belastet ist – wie es
laut Öko-Anbau-Statuten ja auch zu sein hat. Obst aus konventionellem
Anbau enthielt nach den Untersuchungsergebnissen aus 2006 im statistischen
Mittel über 100-mal mehr Pestizid-Rückstände als Obst aus
ökologischem Anbau; und bei Gemüse lag dieser Unterschied im Jahre
2006 gar bei einem Faktor von fast 250.
Beispiel Problemfeld Rückstände von
Schimmelpilzgiften :
Schimmelbefall von Lebensmitteln ist seit jeher ein extrem verbreitetes
Problem und führt weltweit jedes Jahr zu immensen Nahrungsmittelverlusten
bzw. – je nach Grad der vor Ort herrschenden Armut – eben zu ungesunden
bis sogar schädlichen Nahrungsaufnahmen. Eine Reihe der am meisten verbreiteten
Schimmelarten sondert hochgiftige und zum Teil extrem krebserregende Substanzen
ab. Am bekanntesten ist die chemische Substanzgruppe der Aflatoxine.
Überwiegend betroffen sind hiervon Getreide, Nüsse und Samen sowie
Trockenfrüchte (in 2006 vor allem Feigen und Datteln). Und betroffen sind
meist Erzeugnisse aus ganz bestimmten Regionen der Welt, wo Faktoren wie Klima,
Anbau-, Verarbeitungs- und Lagermethoden mit Gewohnheiten von Sorgfalt und
Hygiene ungünstig zusammentreffen. So war beispielsweise Aflatoxin B1
– die analytische Leitsubstanz dieser Stoffgruppe – in nahezu der
Hälfte der in 2006 untersuchten Proben nachweisbar und in fast 10 Prozent
der Proben gar über der zulässigen Höchstmenge enthalten.
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Beide chemische Stoffgruppen – Pestizide wie Aflatoxine
– stehen beispielhaft für die ausgesprochen hohen Ansprüche,
die heutzutage an das Wissen und Können von wissenschaftlichem und
technischem Personal der Untersuchungslaboratorien und an die
Leistungsfähigkeit der Analyseapparate zu stellen sind. Ohne diese
Investition, die natürlich ihren Preis hat, wäre ein wirkungsvoller
Verbraucherschutz heute nicht mehr sicherzustellen. Bei Rückständen
wie Pestiziden oder Aflatoxinen treffen deren fast flächendeckende
Verbreitung, die extreme Giftigkeit (zumindest der meisten von ihnen) sowie deren stark
voneinander abweichende chemische Strukurbeschaffenheit ungünstig zusammen
mit einer durchweg nur winzigsten Menge an Substanz, die im untersuchten
Lebensmittel überhaupt zu finden ist. Es handelt sich hier um
Konzentrationsbereiche, als ob man eine Messerspitze Zucker in einem
50-Meter-Schwimmbecken aufgelöst hätte. Gerade bei den Pestiziden
– von denen zur Zeit theoretisch fast 500 (!) in einer Probe gefunden werden
könnten – gelingt die Identifikation der Einzelsubstanzen nur
mittels einer speziellen, hochempfindlichen Messtechnik, die gewissermaßen
das chemische Skelett der Substanz sichtbar macht. Das sind bei der
Lebensmitteluntersuchung heutzutage die gleichen aufwändigen Verfahren und
Methoden, wie sie auch bei der modernen Doping-Kontrolle im Labor angewandt
werden. Seltsam ist allerdings, dass Negativ-Ergebnisse von Doping-Kontrollen
zur Zeit von einem gewaltigen Medienrummel begleitet werden – obwohl ja
eigentlich nur der Sportler selbst der direkt Geschädigte ist –,
wohingegen Giftbefunde in Lebensmitteln – die ja jeden von uns treffen
können – offensichtlich kaum jemanden interessieren ...
Die Jahresberichte der CVUA in Baden-Württemberg werden
im Internet veröffentlicht und stehen als PDF-Dateien zum Download
hier
zur Verfügung.
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